Bilderbuchauswahl
Ein gutes Bilderbuch – davon wird hier noch oft die Rede sein. Aber woran erkenne ich ein gutes Bilderbuch? Und für wen oder wofür ist es gut? Diese Fragen werde ich hier beantworten.
Ein zentrales Merkmal möchte ich hier bereits festhalten: Gute Bilderbücher wollen nicht belehren – sie enthalten keine Moral, sondern regen die Identitätsbildung an, indem sie zum Nachdenken und Diskutieren auffordern. Sie geben nicht vor, was richtig oder falsch ist.
Gute Bilderbücher sind „in ihrer Ganzheit mehr als die einfache Summe ihrer bildlichen und verbalsprachlichen Anteile.“
Fünf Punkte, um die Qualität eines Bilderbuchs zu ermitteln:
1. Inhalt
2. Bild
3. Sprache
4. Bild-Text-Zusammenspiel
5. Potenzial für den Unterricht
Inhalt
Zunächst konzentriere ich mich auf das Leitthema im Buch: Worum geht es in der Erzählung?
Mit dem Begriff ‚Leitthema‘ ist der Grundgedanke, der die Erzählung leitet, gemeint. Dieser Grundgedanke muss nicht zwingend direkt erwähnt werden, ist aber (mehr oder weniger) gut erkennbar. Oft ist das Leitthema ein abstrakter Begriff, der in der Literatur anhand einer Erzählung konkretisiert wird.
Leitthemen in literarischen Bilderbüchern sind diejenigen Themen, die sich auch in der Weltliteratur finden wie beispielsweise Mut, Freundschaft, Macht, Angst, Liebe, Geduld, Zuversicht, Tod, Krieg, Versöhnung usw. Die Auseinandersetzung mit dem Thema bewegt die Lesenden idealerweise über die Lektüre hinaus und regt innere Entwicklungsprozesse an, wie beispielsweise die Urteils- oder Empathiefähigkeit.
Das Leitthema lässt genug Raum für einen persönlichen Zugang, indem es beispielsweise Fragen aufwirft, provoziert oder zum Nachdenken anregt.
Gibt die Erzählung alle Antworten selber? Ist ein moralischer Mahnfinger erkennbar? Dann sollte das Buch besser weggelagt werden.
Fragen, die bei der Buchauswahl gestellt werden können sind:
„Lässt die Darstellung des Themas genug Freiraum, um eigene Bedeutungen zu kreieren?“
„Unterstützt die Darstellung des Themas die Auseinandersetzung mit Fragen der Toleranz, Akzeptanz, des Menschseins und des Miteinanders?“
„Lässt die Darstellung des Themas ein längeres Verweilen beim gelesenen Text zu?“
Sehr oft sind Leitthemen bereits bei einem ersten aufmerksamen Lesen erkennbar. Manchmal lohnt es sich, eine genauere Analyse vorzunehmen:
Analyse
Leitthemen können an bestimmten, ganz allgemein gültigen Merkmalen des entsprechenden Themas erkannt werden. Im Bilderbuch können dies sprachliche, inhaltliche oder bildliche Merkmale sein, zusätzlich allenfalls auch typographische.
Für das Leitthema ‚Freundschaft‚ kann das beispielsweise folgende Merkmale aufgreifen:
Sprachliches Merkmal: Sätze, Wörter, die darauf hinweisen, dass sich die Figuren mögen: ‚Sie spielen oft miteinander.‘
Inhaltliches Merkmal: Schilderung gemeinsam erlebter Abenteuer, geteilter Geheimnisse usw.
Bildliches Merkmal: Die Bilder und Farben zeigen, dass sich die Figuren mögen: Sie umarmen sich, sie lachen / weinen miteinander, helle, freundliche Farben.
Jeffers, Oliver. (2010). Pinguin gefunden. Berlin: Aufbau.
Meistens, aber nicht immer, lässt sich das Leitthema schnell festmachen. Wenn das nicht der Fall ist, überlege ich, welche Themen in Frage kommen und lege einige Merkmale dieses Themas fest. Anschliessend überprüfe ich, ob diese Merkmale im Buch erkennbar dargestellt werden. Dieses Vorgehen ist schnell un unkompliziert und eignet sich auch, wenn man ein Buch zu einem bestimmten Thema sucht.
Ich suche zum Beispiel ein Buch zum Thema ‚Angst‘. Im Bilderbuch von Pauli, Lorenz & Schärer, Kathrin (2011). Die Kiste. (Düsseldorf: Patmos Sauerländer.) glaube ich, dieses Thema gefunden zu haben.
Pauli, Lorenz & Schärer, Kathrin. (2011). Die Kiste. Düsseldorf: Patmos Sauerländer.
Typische Merkmale für das Thema ‚Angst‘ können sein:
Sprachlich: zittern, flüstern oder schreien, sich verstecken, leise, böse, dunkel, gross, langsam, allein.
Typographisch: Es könnten zahlreiche Ausrufezeichen zu finden sein.
Inhaltlich: Figuren werden / fühlen sich bedroht, verstecken sich, ziehen sich zurück, hören / sehen Dinge, die evt. gar nicht vorhanden sind.
Bildlich: dunkle Farben, bedrohliche Figuren, aufgesperrte Augen.
Künstlerin:
Franziska John
Emotionen (2020) – hier: Angst
Bad Ragartz 2021
Skulpturenausstellung
Ich überprüfe, ob diese Merkmale im Buch zu finden sind:
Sprachlich werden beispielsweise die Wörter leise, winseln, gross, böse, flüstern verwendet. Es hat viele Ausrufezeichen (Typographie). Die Figuren fühlen sich von einem Meeresungeheuer bedroht, sie verstecken sich. Und auf der bildlichen Ebene arbeitet die Illustratorin mit dunklen, bedrohlichen Schatten und grossen Augen.
Somit kann das Thema ‚Angst‘ gut begründet als Leitthema festgelegt werden.
Die Analyse des Leitthemas ist in der Regel nicht notwendig, kann aber durchaus mal hilfreich sein.
Bild
Die Ansprüche an die Qualität der Bilder im Bilderbuch sind in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gestiegen. War früher oft in eher simpler Manier das dargestellt, was im Text erzählt wurde, muss das Bild heute sowohl erzählerische wie auch künstlerische Erwartungen erfüllen.
Das bedeutet, dass die Bilder komplex sein dürfen. Sie sollen irritieren, zu genauem Hinsehen anregen, Neugier wecken, Fragen aufwerfen – kurz: elementare ästhetische Erfahrungen ermöglichen.
Bilder lesen
Jens Thiele machte bereits 2003 darauf aufmerksam, dass die Bilder im Bilderbuch auf zwei Ebenen gelesen werden können. Die konkrete Ebene zeigt auf der Oberfläche benennbare Gegenstände, Figuren, Farben usw. Die abstraktere Ebene verweist auf gehaltvolle Bedeutungen der Bilder im Zusammenhang mit der Erzählung (Konnotation) (Thiele, 2003. Das Bilderbuch. Olderburg: Isensee).
Im vorliegenden Kapitel geht es um die Analyse der Darstellung, die Funktion der Bilder im Zusammenhang mit der Erzählung folgt im Kapitel ‚Bild-Text-Zusammenspiel‘.
Um die Bilder zu analysieren, achte ich auf die Formen und Linien, die Farbwahl und die Komposition der Figuren mit einem speziellen Blick auf die Grössenverhältnisse und Perspektiven sowie die Position der Figuren auf dem Blatt. Zusätzlich möchte ich auf die Vermenschlichung von Tieren oder Gegenständen eingehen.
Oft ist es interessant, auch das gewählte Zeichenmaterial (Farbstifte, Kreide, Öl usw.) und die Darstellungstechnik (z.B. Bildträger, Werkzeuge usw.) zu betrachten, um die Bildaussage genauer zu verstehen. Da ich aber keine Fachperson der bildenden Kunst bin, müssen meine Aussagen in diesem Bereich eher nebensächlich bleiben.
Linien und Formen
Bei den Linien und Formen ist die Unterscheidung zwischen gerade / eckig und rund / geschwungen spannend. Gerade Linien, eckige Formen wirken streng, ordentlich, abweisend. Runde, geschwungene Linien und Formen hingegen warm, beruhigend, zufrieden.
Gerade, eckige Linien und Formen
Meschenmoser, Sebastian. (2014). Gordon und Tapir. Stuttgart:Thienemann-Esslinger.
Sehr deutlich ist dies im Buch von Sebastian Meschenmoser (2014) Gordon und Tapir zu erkennen, in dem Meschenmoser mit der Wahl der Formen / Linien den Figuren gleichzeitig Persönlichkeitsmerkmale zuschreibt (oder umgekehrt?): Gordon, der Ordnungsliebende, fühlt sich im akkurat aufgeräumten Umfeld wohl, was mit geraden, horizontal und vertikal ausgerichteten Linien und Formen dargestellt wird. Sein Freund Tapir – eher der chaotische Typ – liebt das Kuddelmuddel. Meschenmoser zeichnet es in weichen, runden Linien und Formen:
weiche, runde Linien und Formen
(ders.)
Weniger offensichtlich, aber mit derselben Wirkung auf die Lesenden arbeitet Sydney Smith (2020) in seinem Buch Unsichtbar in der grossen Stadt:
Smith, Sydney (2020). Unsichtbar in der grossen Stadt. Stuttgart: Aladin / Thienemann-Esslin
Das Kind fühlt sich im Baum mit seinen geschwungenen Stämmen und Ästen wohl und sicher, während die geraden Linien in der grossen Stadt die Enge und Anonymität betonen.
Farbwahl
Die Wirkung von Farben ist wesentlich kultur- und erziehungsabhängig. Meine Ausführungen gelten für den mir bekannten Raum, den ich ganz allgemein als ‚europäischen Kulturraum‘ bezeichnen möchte. Dies zu bedenken, kann wichtig sein, wenn Bilderbücher aus anderen Kulturräumen analysiert werden.
Farben können in ‚kalt‘ und ‚warm‘ eingeteilt werden. Gelb, Orange, Rot beispielsweise gelten als warme Farben, Grün, Blau, Violett als kalte. Die Grenzen dieser Einteilung sind je nach Farbton natürlich fliessend, so ist ein giftiges Gelb-Grün bestimmt nicht warm und Kornblumenblau kann durchaus als warm bezeichnet werden.
Giftiges Gelb-Grün
Ramos Mario. (2003). Ich bin der Stärkste im ganzen Land! Frankfurt a.M.: Moritz.
Die Wirkung von Farben
Der warme Farbbereich von Gelb über Rot bis Violett wirkt freundlich, optimistisch, gemütlich, warm, heiter, kann aber auch temperamentvoll oder aggressiv sein (z.B. Rot). Die Farben von Violett über Blau zu Grün wirken kreativ, beruhigend, harmonisch, kraftvoll, vertrauensvoll, kühl.
Harmonisches Grün
Fogliano, Julie & Smith, Lane. (2019). Das Haus, das ein Zuhause war. Frankurt a.M.: Fischer Sauerländer.
Braun und die so genannt ‚unbunten‘ Farben Weiss, Schwarz und Grau zählen weder zu den warmen noch zu den kalten Farben.
Braun wirkt altmodisch, aber auch zuverlässig und gemütlich. Weiss steht für Neutralität, Unschuld, Freundlichkeit, Optimismus, Leere; Schwarz wirkt besonders widersprüchlich und kann für Trauer, Angst, Eleganz, Klasse, Seriosität, Dominanz, Abweisung, Unglück, Macht, Geheimnis, Funktionalität stehen.
Dreieck hat Angst
Barnett, Mac & Klassen, Jon. (2019). Dreieck. Zürich: NordSüd.
Grau als weitere unbunte Farbe wirkt zurückhaltend, charakterlos, emotionslos, unfreundlich, unentschieden.
Schwarz, Weiss und Grau können die Wirkkraft der anderen Farben verstärken.
Starke Wirkkraft von Rot und Schwarz auf Weiss
Pandolfo, Anne-Caroline. (2016). Die Tintenspinner. München: mixtvision.
Komposition der Figuren
Im Bereich der Komposition möchte ich die Grössenverhältnisse mit den Perspektiven und die Position der Figuren auf dem Blatt besonders in den Blick nehmen.
Grösse steht im Bilderbuch-Bild für Überlegenheit, Macht, Überheblichkeit, Wichtigkeit, Bedrohung. Die Wirkung wird erzielt durch eine unrealistische Grösse der Figur (oder des Gegenstandes) entweder im Verhältnis zum Buchformat, zu den übrigen Figuren oder zu beidem.
Die Welle füllt in der Höhe die gesamte Buchseite aus und wirkt damit als Bedrohung für die Figuren im Boot.
Jeffers, Oliver. (2010). Pinguin gefunden. Berlin: Aufbau.
Dass die durch Grösse dargestellte Macht nicht bedrohlich sein muss, zeigt beispielsweise das Buch Sabber Schlabber Kussi Bussi von Anita Lehmann & Kasia Fryza:
Titan ist so gross, dass er über die Bilderbuchseite hinausragt. Er beschützt seine Besitzerin auf liebevolle Art vor aufdringlichen Erwachsenen. Seine blaue Farbe steht für Vertrauen und Kraft.
Lehmann, Anita & Fryza, Kasia. (2019). Sabber Schlabber Kussi Bussi. Basel u.a.: Helvetiq.
Die Perspektive ist ebenfalls ein wichtiger Faktor für die Wirkung eines Bildes. Am häufigsten wird die ‚Normalsicht‘ gewählt, das heisst, das Auge und das Sujet befinden sich auf gleicher Höhe. Wenn das Bild zudem aus einer mittleren Distanz betrachtet gestaltet wird, wirkt es schlicht, einfach, vielleicht sogar ein wenig langweilig.
Herausfordernder ist ein ausgeprägterer perspektivischer Blick auf Figuren, Gegenstände oder die Szenerie. Die Frosch- oder Vogelperspektive kann Positionen, Rollen betonen, aber auch inneres Erleben oder Emotionen anschaulich darstellen.
Froschperspektive:
Wandas Selbstvertrauen ist riesengross.
Cali, Davide & Bougaeva, Sonja. (2010). Wanda Walfisch. Zürich: atlantis.
Vogelperspektive:
Morkel fühlt sich in seinem Baumhaus sicher vor der Welt. Gleichzeitig steht er wortwörtlich über den Gegebenheiten
Hole, Stian. (2016). Morkels Alphabet. München: Carl Hanser.
Mit der Position der Bildelemente wird ihnen ihre (aktuelle) Bedeutung in der Erzählung zugeschrieben. Sind sie in der Bildmitte positioniert, sind sie wichtig, sie ’stehen im Mittelpunkt‘. Die Positionierung am oberen Rand symbolisiert einen ‚hohen‘ Wert. Wer oder was sich am unteren oder äusseren Rand befindet, gehört nicht dazu, ist ein:e Aussenseiter:in, ist nebensächlich. Dies gilt für Figuren, die sich nicht bewegen.
Der blaue Vogel gehört nicht dazu.
Teckentrup, Britta. (2020). Der blaue Vogel. München: arsEdition.
Bewegungsrichtung
Es kann wichtig sein, zusätzlich die Bewegungsrichtung zu beachten. Eine Figur, die sich am rechten Rand befindet und sich bewegt, blickt vorwärts, ist zukunftsorientiert, offen für Neues, vielleicht abenteuerlustig. Umgekehrt schaut eine gegen die Leserichtung orientierte Figur zurück, kommt nach Hause, sucht die Ruhe, die Vertrautheit.
Bild 1 Bild 2
Max darf ganz allein zum Briefkasten gehen (1). Vertrauensvoll macht er sich auf den Weg und kommt nach einem abenteuerlichen Tag zurück (2).
Liu, Joanne. (2019). Abenteuer in der Stadt. München: Prestel.
Die Gruppe auf der linken Seite und auf der linken Hälfte der rechten Blattseite wendet sich nach links – sie geht (vermutlich) zurück zum U-Boot. Die Figur am rechten Bildrand wendet sich nach rechts – das Abenteuer liegt direkt vor ihr: das Wrack und die Schatzkiste!
Hare, John. (2021). Tief im Ozean. Frankfurt: Moritz
Die Anthropomorphisierung von Tieren, Fantasiewesen und Gegenständen – also die Vermenschlichung – ist in vielen Bilderbüchern zu finden. Manchmal stehen sie – insbesondere Tiere – als Symbol für bestimmte Eigenschaften oder Persönlichkeiten z.B. die Eule für ‚Weisheit‘ oder der Fuchs für ‚List‘.
Vermenschlichte Tiere im Bilderbuch sind allerdings meistens als ‚Identifikationsfiguren‘ zu verstehen. Da die meisten Kinder sich Tieren nahe fühlen, identifizieren sie sich mit ihnen und bleiben dennoch in einer gewissen Distanz zu ihnen. Damit sind Tiere und Fantasiewesen (manchmal auch Gegenstände) geeignete Vorbilder, die den Kindern Problemlösestrategien und Verhaltensmuster aufzeigen oder ihnen den Spiegel vorhalten können.
Dies ermöglicht einen emotionalen Zugang zum Geschehen und damit ein tiefergehendes Verstehen der Ereignisse. Die Auseinandersetzung – unter Begleitung von kompetenten Bezugspersonen – mit allenfalls dadurch entstehenden Irritationen oder Verunsicherungen kann zur Identitätsbildung beitragen kann. Bei der Bilderbuchauswahl ist darauf zu achten, dass die Tiere (Gegenstände) nicht als ‚Moralinstanzen‘ missbraucht werden.
Der kleine Fisch hat den Hut des grossen Fischs geklaut. Auf dem Weg in sein Versteck rechtfertigt er seinen Diebstahl und versucht dadurch einerseits sein schlechtes Gewissen zu beruhigen und andererseits seine Angst zu beherrschen. Die Erzählung regt dazu an, sich mit den Themen ‘Diebstahl, schlechtes Gewissen, Rache’ auseinanderzusetzen.
Klassen, Jon. (2013). Das ist nicht mein Hut. Zürich: NordSüd.
Sprache
Auch an die Sprache im literarischen Bilderbuch werden bestimmte Qualitäts-Anforderungen gestellt. Was Thiele (2003) vom Bild verlangt, gilt auch für die Sprache: Komplexität statt Simplifizierung:
Komplexität
Die Sprache soll einen Bezug zu den Themen finden, die Kinder faszinieren, ohne diese zu banalisieren. Stattdessen bietet sie eine Grundlage für Denk- und Entwicklungsprozesse.
statt Simplifizierung
Literarische – und damit sprachliche und bildliche – Bedeutungslosigkeit findet sich vor allem in der so genannten ‘Wichtelliteratur’. Die Sprache zeichnet sich hier durch banale Floskeln aus. Oft wertet sie Nichtssagendes unnötig auf und gibt bereits alle Antworten, womit sie jede eigene Deutung verunmöglicht.
Denkprozesse anregen
Im Bilderbuch soll die Sprache einen faszinierenden, belustigenden, irritierenden Bezug zum Leitthema finden, ohne geradlinige Problemlösungen anzubieten und gleichzeitig ohne die Kinder zu überfordern. Auch die Sprache soll – neben den Bildern – zu Denkprozessen anregen.
Gibt es handfeste Kriterien, die für die Analyse herbeigezogen werden können?
Es gibt kaum Literatur zu dieser Frage. Auffallend oft jedoch finden sich Hinweise, dass ‚Sprache‘ mit Bilderbüchern gefördert werden kann. Das ist sicher so, darum geht es aber beim Literarischen Lernen nicht. Worum es beim Literarischen Lernen geht, wird hier erörtert. Kurz gesagt, sollen die Lesenden angeregt werden, über die eigene Identität nachzudenken. Die Frage, inwiefern die Sprache im Bilderbuch dazu etwas beitragen kann, zeige ich nun in den folgenden Aspekten auf:
- Satzbau
- Wortschatz
- Stilmittel
Bei allen drei Aspekten geht es um die Frage, was sie zur Wirkung, zum Charakter der Erzählung beitragen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von sprachästhetischer Breite. Damit soll ausgedrückt werden, dass es nicht ‚die gute Sprache im Bilderbuch‘ gibt, sondern, dass sie immer im Gesamtzusammenhang (z.B. zum Leitthema, zum Alter der Kinder, zur Bildsprache usw.) gesehen werden muss.
Folgende Leitfragen können bereits erste Hinweise zur Qualität der Sprache geben:
- Passt die Sprache zum Leitthema?
- Lässt sich eine sprachliche Qualität ausmachen, der man anmerkt, dass sie bewusst gestaltet wurde?
- Wird nicht zu viel und nicht zu wenig gesagt?
- Passt die Sprache zum Alter der Zuhörenden?
Sicher ist, dass die Analyse der Sprache auch viel mit dem Fingerspitzengefühl der Lehrperson und mit ihrer (Erwartungs)-Haltung den Kindern gegenüber zu tun hat.
Satzbau
Ein Text kann – einfach gesagt – aus Hauptsätzen (Parataxe) oder aus Haupt- und Nebensätzen (Hypotaxe) bestehen. Die Parataxe liest sich einfach und ist gut verständlich, auch weil sie sich an der gesprochenen Alltagssprache orientiert. In der Literatur wird sie eingesetzt, um Neugier aufzubauen, einen schnellen Fluss in die Handlung zu bringen oder / und um den Fokus auf dem Wesentlichen beizubehalten.
Dass ein Bilderbuch durch die Aneinanderreihung von Hauptsätzen an Qualität gewinnen kann, zeigt sich sehr gut im Buch von Jon Klassen. (2012). Wo ist mein Hut? (Zürich: NordSüd). Der Bär ist vollkommen fokussiert auf seinen verlorenen Hut. In seinem Kopf hat es keinen Platz für andere Gedanken als die Frage: Wo ist mein Hut? Um dies zu betonen, wählt Klassen die aneinandergereihten Hauptsätze und zusätzlich ausschliesslich die direkte Rede. Damit wird kein Wort zu viel gesagt, was das Gefühl der ‚Besessenheit‘ des Bären nochmals zusätzlich verstärkt.
„Hast du meinen Hut gesehen?“
Klassen, Jon. (2012). Wo ist mein Hut. Zürich: NordSüd.
Die Hypotaxe – also die Aneinanderreihung von Haupt- und Nebensätzen – wirkt oft etwas umständlich, weniger sachlich. Sie ist komplex und dadurch aber auch genauer. Durch das detaillierte Beschreiben kann sie argumentativ überzeugen, Emotionen nachvollziehbar darstellen oder Sachverhalte klarstellen.
Damit ist aber auch die Gefahr verbunden, zu viel Überflüssiges zu sagen. Besonders im Bilderbuch passiert dies oft, wenn nicht darauf geachtet wird, welchen Beitrag die Bilder zum Verstehen leisten . So ist es beispielsweise in einem Bilderbuch nicht notwendig, das Aussehen von Figuren zu beschreiben, wenn sie nebenan abgebildet sind. Auch Emotionen, Gedanken und Wünsche werden im Bilderbuch oft im Bild dargestellt (s. oben ‚Bild‘) und brauchen keine schriftliche Erwähnung oder Erklärung.
Im Bilderbuch wird die Hypotaxe manchmal verwendet, um Langatmigkeit, Umständlichkeit, Langeweile auszudrücken. In einem Bilderbuch für Kinder ist die Hypotaxe aber eher selten anzutreffen, auch weil die Verschachtelung von Nebensätzen das zuhörende Verstehen erschwert.
„Ich zerbrach mir gerade den Kopf über unser Mittagessen – den Rest von diesem leckeren Hähnchen oder eine von meinen köstlichen Suppen aus der Gefriertruhe? – als ich bemerkte, dass Charles verschwunden war.“Browne, Anthony. (1998). Stimmen im Park. Oldenburg: Lappan.
Wenn sich in einem Bilderbuch viele Hypotaxen finden, richtet es sich oft an Jugendliche oder Erwachsene. In diesen Bilderbüchern ist auch der Textanteil meistens relativ hoch. Der hypotaktische Satzbau findet sich beispielsweise im Bilderbuch von Hans Magnus Enzensberger, Irene Dische und Michael Sowa (1993) Esterhazy (München: Hanser):
„Denn die Welt ist leider so eingerichtet, dass kleine Hasen kleine Hasenkinder kriegen, während die grossen Hasen immer grösser und grösser werden, sodass ihre Kinder kaum mehr in ihre Kinderbetten passen.“
Enzensberger Hans Magnus, Dische Irene & Sowa, Michael. (1993). Esterhazy. München: Hanser.
Wortschatz
Bei der Bilderbuchauswahl wird darauf geachtet, dass der verwendete Wortschatz nicht künstlich vereinfacht wird, sondern die Kinder hinreichend herausfordert.
Um eine Geschichte zu verstehen, müssen die Schlüsselbegriffe bekannt sein. Das heisst – auch wenn diese Begriffe anspruchsvoll sind – werden sie nicht vereinfacht, sondern mit Hilfe von Bildern, Vergleichen oder auch pantomimisch erklärt.
In vielen Bilderbüchern übernehmen die Autor:innen und Illustrator:innen einen Teil dieser ‚Übersetzungsarbeit‘ gleich selber, indem sie beispielsweise die beschriebene Stimmung in der Mimik der Figuren darstellen. So können die Kinder auch schwierigere Wörter wie ‚missmutig‘, ‚freudestrahlend‘ oder ‚furchtsam‘ eher verstehen. Ganz nebenbei bauen sie dadurch ihren Wortschatz aus.
Die vorlesende Person unterstützt das Verstehen , wenn sie die ‚Anweisungen‘ zur direkten Rede im Text genau befolgt; also brummen, wenn da brummen steht, oder flüstern oder schreien, murmeln, jammern usw.
Stilmittel
Es gibt zahlreiche Stilmittel im Bilderbuch, von denen ich nur einige vorstellen möchte – auch wieder in ihrer sprachästhetischen Breite. Das heisst, es gibt nicht die Stilmittel, die ein gutes Bilderbuch auszeichnen, sondern es geht auch hier um die Frage, was sie in welcher Form zur Wirkung der Erzählung beitragen und in welchem Zusammenhang zum Leitthema sie stehen. Ansprechen möchte ich das Spiel mit Lauten, Vergleiche und Metaphern wie beispielsweise sprechende Namen oder Personifikationen.
Das Spiel mit Lauten
Ein Stilmittel im Bilderbuch ist das Spiel mit den Lauten – Alliterationen, Reime usw. Die Alliteration – also eine Folge von Wörtern mit demselben Anfangslaut – ist vor allem im Zusammenhang mit Namen beliebt, wie beispielsweise Igel Ingo oder Magda Maulwurf. Interessant aber wird es erst, wenn es nicht bei banalen Lautspielereien bleibt, sondern wenn es sich um ’sprechende Namen‘ handelt, wie beispielsweise Max Mutig oder Wanda Wild – wenn also ein Persönlichkeitsmerkmal oder ein Charakterzug der Figur vom Namen abgeleitet werden kann. Dies trifft auch für Namen allgemein zu – so kann aus dem Namen ‚Goliath‘ geschlossen werden, dass die Figur möglicherweise gross und stark ist oder der Vogel ‚Elvis‘ besonders schön singen kann.
Abadia, Ximo. (2019). Goliath. Berlin: Kleine Gestalten.
Schössow, Peter (2005). Gehört das so??! Die Geschichte von Elvis. Berlin u.a.: Hanser.
Das Erzählen in Reimen ist Geschmackssache – die einen mögen gereimte Geschichten, die anderen nicht. Wichtig im Bilderbuch ist, dass die Verse aus korrekten Sätzen bestehen. Das ist oft eine Herausforderung, insbesondere bei Übersetzungen. Ein gelungenes Beispiel ist der von Monika Osberghaus aus dem Englischen übersetzte Grüffelo von Axel Scheffler und Julia Donaldson (2002. Weinheim: Beltz & Gelberg).
„Wie dumm von dem Fuchs! Er fürchtet sich so.
Dabei gibt’s ihn doch gar nicht, den Grüffelo!“
Scheffler, Axel & Donaldson, Julia. (1999). Grüffelo. Weinheim u.a.: Beltz & Gelberg.
Viele Kinder mögen Reimgeschichten. Das hat auch damit zu tun, dass sie Wiederholungen mögen. Wiederholungen geben ihnen eine Form von Sicherheit und sie freuen sich, wenn sie einen Teil der Fortsetzung – wie zum Beispiel ein Reimwort – bereits erraten können.
Vergleiche
Einfache Vergleiche – wie das untenstehende Beispiel – können das Verstehen erleichtern. Durch den konkreten Vergleich (mit dem Vergleichspartikel ‚wie‘) kann das eigentlich Gemeinte erfasst werden. Auch kleine Kinder können diese Übertragung nachvollziehen.
„Habt ihr gesehen, dass draussen ein schwarzer Hund ist? Er ist so gross wie ein Tyrannosaurus Rex!“
Pinfold, Levi. (2012). Der schwarze Hund. Berlin: Jacoby & Stuart.
Natürlich können diese Vergleiche auch anspruchsvoller sein, wenn die Übertragung abstrakteres Denken oder ein gewisses Weltwissen voraussetzt.
„Es fühlt sich an, als hätte er Blei in den Schuhen.“
Hole, Stian. (2009). Garmans Strasse. München: Carl Hanser.
Nur wer weiss, dass Blei schwer ist, kann diesen Vergleich nachvollziehen.
Metaphern
Metaphern funktionieren ohne konkrete Vergleichsangebote, was es anspruchsvoller macht, sie zu verstehen. ‚Die Sonne lacht‘ ist ein Beispiel für eine sprachliche Metapher. Bereits weiter oben wurde auf die ’sprechenden Namen‘ hingewiesen, die ebenfalls zu den sprachlichen Metaphern gehören. Im Bilderbuch für Kinder sind sprachliche Metaphern, im Gegensatz zu Bildmetaphern, eher selten zu finden.
Bildmetaphern
Farben werden öfters als Metaphern verwendet – z.B. Schwarz für Angst oder Rot für Wut.(siehe dazu auch das Kapitel ‚Bild‘)
„Das Rot war wild und tat gefährliche Dinge.“
Bauer, Jutta. (2001). Die Königin der Farben. Weinheim u.a.: Beltz.
In manchen Bilderbüchern werden abstrakte Begriffe oder Naturerscheinungen bildlich oder sprachlich vermenschlicht dargestellt (Personifikation – eine weitere Möglichkeit der Anthropomorphisierung (s. Kapitel ‚Bild‘). So zeigt sich beispielsweise ‚Wut‘ in einem roten Monster oder ein Sturm wird als pustende Wolke dargestellt. Im Beispiel unten ist der Tod eine menschliche Figur:
„Ich bin der Tod.“
Erlbruch, Wolf. (2007). Ente, Tod und Tulpe. München: Kunstmann.
Diese Form der Metapher erleichtert es den Kindern, sich eine Vorstellung der abstrakten Begriffe zu machen.
Bild-Text-Zusammenspiel
Bilderbuchgeschichten werden in der Regel in einer mehr oder weniger engen Verknüpfung von Bild und Text erzählt. (Ausnahmen sind selbstverständlich die textlosen Bücher – die so genannten ’silent books‘). Die Aussagekraft der Bilder (s. Kapitel ‚Bild‘) und die Struktur der Bild-Text-Verknüpfungen gehören zu den wichtigsten Qualitätsmerkmalen von Bilderbüchern.
Ich möchte vier Bilderbuchgruppen vorstellen, die aufzeigen, in welcher Form Bild und Text zusammenspielen können. Das Modell der vier Gruppen darf nicht statisch verstanden werden. Vielmehr wird es in der Realität so sein, dass sich diese Gruppen im Bilderbuch mischen und duchdringen und kaum je reine Formen vorkommen. Auch ist davon auszugehen, dass weitere Unterteilungen und auch weitere Gruppen denkbar sind. Das Modell kann aber eine Grundlage bieten, um einen Zugang zum Bild-Text-Zusammenspiel zu erhalten. Ich beziehe mich bei meinen Ausführungen insbesondere auf Jens Thiele, 2003.
Die vier Bilderbuchgruppen
1. Geflochtener Zopf
Mit einem geflochtenen Zopf bezeichnet Thiele die abwechselnde ‚Leitfunktion‘ von Text und Bild. Das bedeutet, manchmal leitet das Bild die Erzählung, manchmal der Text. Um die Erzählung zu verstehen, müssen Bild und Text immer gemeinsam gelesen werden.
Der kleine Rabe erzählt seiner Mutter von seinem neuen Freund. Dass dieser Freund ein Elefant ist, erkennt man (vorläufig) nur im Bild:
Saberi, Babak & Zaeri, Mehrdad. (2015). Ein grosser Freund. Basel: Baobab.
Die Mutter reagiert etwas nervös und fragt, wie sie denn überhaupt miteinander sprechen können. Der Rabe erklärt: „Na, mit Zeichen und mit Blicken.“ Ohne Text lässt sich dieser Dialog nicht erschliessen.
(Dies.)
Meistens wechseln sich Bild und Text in einem Bilderbuch als Leitmedium ab – deshalb der Begriff ‚geflochtener Zopf‘. Eher selten sind Bilderbücher, in denen die Erzählung durchgehend nur mit Bild funktioniert (= Leitmedium Bild), d.h. ohne Bild versteht man die Geschichte nicht. Genauso sind Bilderbücher, die nur mit Text verstanden werden (= Leitmedium Text), eher rar. Hier sind nicht Bilderbücher gemeint, bei denen die Bilder lediglich vereinzelt dasjenige illustrieren, was im Text sowieso schon steht. Vielmehr sind Bilderbücher gemeint, deren Bilder durchaus eine Geschichte erzählen können, jedoch erst zusammen mit dem Text eine eigene Bedeutung erhalten.
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- Leitmedium Bild
Ein Buch, das fast durchgehend nur mit Bild funktioniert, ist das Buch ‚Sam & Dave graben ein Loch‘ von Mac Barnett & Jon Klassen.
- Leitmedium Bild
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Barnett, Mac & Klassen, Jon. (2015). Sam & Dave graben ein Loch. Zürich: NordSüd.
Nur wer die Bilder parallel zum Text betrachtet, bemerkt unter anderem die Diamanten und den Hund und gerät dadurch in ein Spannungsfeld, in dem man den Jungs zurufen möchte: ‚Schaut doch mal auf euren Hund!‘ Hinzu kommt bei dieser genialen Geschichte, dass die beiden Jungs am Ende nicht am gleichen Ort sind wie am Anfang. Wo sind sie gelandet? Darüber lässt sich mit Kindern trefflich diskutieren!
- Leitmedium Text
Im Buch ‚Sabber Schlabber Kussi Bussi‘ von Anita Lehmann & Kasia Fryza brauchen die Lesenden fast durchgehend den Text, damit klar ist, was gemeint ist.
Lehmann, Anita & Fryza, Kasia. (2019). Sabber Schlabber Kussi Bussi. Basel u.a.: Helvetiq.
Ohne die Information im Text wüssten die Lesenden nicht, dass dieses schlangenartige Wesen Tante Kathi ist, die nach Moder riecht.
2. Textlose Bilderbücher (silent books)
Wenn textlose Bilderbücher eine (oder mehrere) Geschichte(n) erzählen, sind diese – im Gegensatz zur weit verbreiteten Alltagstheorie – für kleine Kinder oft schwierig zu lesen, resp. zu verstehen. Das liegt daran, dass die Lesenden die ‚Leerstellen‘ zwischen den Bildern selbständig füllen müssen. Mit dieser ‚Füllarbeit‘ sind kleine Kinder oft noch überfordert, wie Tabea Becker in ihren Untersuchungen nachgewiesen hat (Becker, T. 2011. Kinder lernen erzählen). Sie weichen dann eher auf eine Art Bildbeschreibung aus.
Es gibt einige unterschiedliche Kategorien bei den Bilderbüchern ohne Text, von denen ich die wichtigsten vorstellen möchte:
a) Eine Geschichte
In diesen Bilderbüchern wird eine durchgehende Geschichte nur mit Bildern erzählt. Der Ablauf folgt dem Grundschema ‚Einführung – Höhepunkt – Schluss‘.
Ein Beispiel ist das Buch ‚Der grosse Hund‘ von Andrea Hensgen und Béatrice Rodriguez:
Hensgen, Andrea & Rodriguez Béatrice. (2011). Der grosse Hund. Wuppertal: Peter Hammer.
Im Buch wird die Geschichte von der Freundschaft zwischen einem kleinen Jungen und einem grossen Hund ganz ohne Worte erzählt.
b) Mehrere Geschichten
In manchen textlosen Bilderbüchern lassen sich mehrere Geschichten finden: Eine ‚Hauptgeschichte‘ – ähnlich wie bei a) – daneben gibt es aber zahlreiche weitere Geschichten, die an Nebenschauplätzen stattfinden. Beispiele dafür sind die Wimmelbücher von Rotraut Susanne Berner oder von Thé Tjong-Khing, zum Beispiel ‚Picknick mit Torte‘ (2008/2021):
Tjong-Khing, Thé. (2008/2021). Picknick mit Torte. Frankfurt a.M.: Moritz.
Das ganze Dorf macht sich auf zum Picknick. Unterwegs dahin passiert einiges und — wo sind die Torten geblieben? Neben der Klärung dieser Frage können kleine Kämpfe gegen Monster beobachtet werden, verletzt sich das Schweinchen oder ärgert sich die Ziege – weswegen bloss? Das Buch bietet unzählige Möglichkeiten, Geschichten zu erfinden, zu interpretieren, zu hinterfragen.
c) Wimmelbücher
Wimmelbilderbücher ohne Erzählung bilden eine weitere Kategorie der textlosen Bilderbücher. Sie zählen nicht zu den literarischen Bilderbüchern, faszinieren aber durch ihren hohen Aufforderungscharakter und können deshalb den Zugang zum Buch niederschwellig ebnen. So können in diesem Buch von Joan Steiner ‚Ich sehe, was, was du nicht siehst‘ auf jeder Doppelseite Hunderte von Alltagsgegenständen entdeckt werden: Wer findet beispielsweise das Wattestäbchen, die zwei Knoblauchzehen oder die künstlichen Fingernägel?
Steiner, Joan. (2010). Ich sehe was, was du nicht siehst. Esslingen: Esslinger.
3. Kontrapunktische Spannung
In Bilderbüchern mit kontrapunktischer Spannung sind drei Geschichten zu finden: Eine, wenn man nur die Bilder betrachtet (die oft etwas langweilig ist), eine zweite, wenn man nur den Text liest (was oft ebenfalls etwas langweilig ist) und eine dritte, wenn Text und Bild gemeinsam rezipiert werden. Diese dritte Geschichte ist meist bitter-ironisch-amüsant und regt zu tieferen Gedanken an.
Im Buch von Pat Hutchins ‚Rosie’s walk‘ erzählt der Text, dass das Huhn Rosie einen Spaziergang über den Hof macht. Die Bilder zeigen zusätzlich den Fuchs, der vergeblich versucht, das Huhn zu packen. In der Kombination von Bild (Slapstick) und Text (friedliche Ruhe) entsteht eine amüsante Spannung, die die an sich simple Geschichte tiefgründig werden lässt.
Hutchins, Pat. (1968). Rosie’s Walk. New York: Aladdin
4. Parallelität
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- Elaboration
- Extension
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Thiele, Jens. (2003). Das Bilderbuch. Oldenburg: Isensee.